Grüßt man einander beim Laufen, oder nicht? Nach ein paar Runden auf dem Land sage ich als Ex-Zweifler klar: Ja! Denn der Läufer-Gruß vermittelt ein Gefühl des Willkommenseins. Und hat die Kraft der Motivation. Also: Willkommen zum Hohelied auf die Gruß-Kultur.
Kaum vorstellbar, aber auch ich war mal ein Knirps. Und als solcher habe ich meine Umwelt nach guter Kindersitte mit Fragen gelöchert. Einer der brennendsten Fragen dieser Zeit: „Warum heben Motorradfahrer die Hand, wenn sie aneinander vorbeifahren?“
Die profane Antwort: „Ist halt ’ne Höflichkeitsgeste unter Motorradfahrern.“ Dass man sich also bei jeder Begegnung auf der Straße grüßen muss, nur weil man das gleiche Fahrzeug unter dem Hintern hat, fand ich zwar nett, aber auch reichlich unnötig. Autofahrer heben doch auch nicht ehrfürchtig die Hand, wenn sie einen Kfz-Kumpel treffen.
Unter Maschinen
Dass man durch diesen simplen und freundlichen Gruß ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe erzeugen kann, blieb mir damals wohl verborgen. So einfach und doch so wirkungsvoll. „Du fährst eine Maschine, ich fahre eine Maschine – irgendetwas verbindet uns!“
Als ich viele Jahre später – längst nicht mehr Knirps – aus lauter Verzweiflung mit dem Laufen begann, holte mich das Thema unverhofft wieder ein. Bereits nach den ersten erfolgreichen Läufen stellte ich mir die Frage nach der Lauf-Etikette: „Grüßt man einander als Läufer?“. So, im Vorbeilaufen?
Vergiss den Gruß!
Je häufiger und regelmäßiger die Läufe wurden, desto mehr verfestigte sich der Eindruck: Mach alles, was du willst! Ziehe bescheuerte Klamotten an! Kaufe Laufschuhe bis zum Abwinken! Lauf von mir aus sinnbefreit auf der Stelle, während du an einer roten Ampel wartest! Aber, um Himmels Willen, vergiss das mit dem Läufer-Gruß!
(So, zwischendrin das passende Zitat eines angesehenen Philosophen, damit das hier alles mal ein bisschen mehr intellektuellen Anstrich bekommt…)
Und so schwenkte ich als Läufer-Rookie ganz schnell auf die Linie der urbanen Profi-Läufer ein. Kein Gruß, kein Nicken, nicht die geringste Wertschätzung der Laufleistung des Entgegenkommenden. Nur reine, professionelle Ignoranz. So geht das! Das ist cool, das ist wahrer Sport. Ist schließlich ein Wettbewerb, keine Grußonkel-Challenge. (Übrigens: Eine mehr als sehenswerte Übersicht über die verschiedenen Läufer-Gruß-Typen gibt es auf dem Instagram-Profil von runskills.de zu sehen: „Wie Läufer grüßen – Teil 1“ und „Wie Läufer grüßen – Teil 2“ )
Linsensuppe, ein Lächeln und Medaillen aus Holz
Dass mit dieser Regel etwas nicht stimmen kann, hätte mir eigentlich schon bei den kleinen Laufevents auffallen müssen, an denen ich ab und zu teilnahm. Der Holzkirchner Marktlauf zum Beispiel, den ich und ein paar Laufbuddies vor allem deswegen mitmachten, weil wir vom ersten Mal an verliebt waren in die schöne Laufstrecke. Und die exzellente Organisation. Vor allem eroberte jedoch in die unaufgeregte, familiäre Atmosphäre unser Runner-Herz.
Nach dem Rennen gab es selbstgebackenen Kuchen und Linseneintopf in der Aula der örtlichen Turnhalle. Mit einem freundlichen Lächeln überreichten uns Freiwillige die liebevoll belegten Wurst- und Käsesemmeln – und die hölzerne Finishermedaille.
Ländliches Laufdate mit Folgen
Im Herbst 2020 löste ich dann endlich mein Versprechen ein und traf einen Freund, der in der Nähe der oberbayerischen Stadt Wasserburg wohnt, zum lange geplanten Laufdate. Hier sollte sich mir endlich das ganze Ausmaß meines Irrwegs in Sachen Läufergruß offenbaren.
Nur zwei Runden waren nötig, um meinen Glauben an die Unsinnigkeit des Läufergrußes in seinen Grundfesten zu erschüttern. In einer kleinen Gruppe erkundeten wir wunder- und geheimnisvolle Orte wie Unterübermoos, Oberübermoss, Scheidsöd, Lutzhäusl oder Springlbach. Durchkreuzten Gemeinden wir Pfaffing, Dirnhart oder Nederndorf.
Läuferbad in der Menge
So unterschiedlich die Namen der Orte auch waren – die Menschen, denen wir begegneten, waren allesamt gleich freundlich. Ob Radfahrer, Fußgänger oder Anwohner. Ob Klein oder Groß. Niemand ließ uns ungegrüßt vorbeiziehen. Es war, als liefen wir jeden Tag hier vorbei, als wäre es eine einmalige Sache, dass wir genau dort vorbeikommen. Ein freundliches „Griaß Eich“ war das mindeste, das uns entgegenschallte. Die geballte Ladung Läufer-Gruß an unerwarteter Stelle. Heißt es nicht immer, die Landbevölkerung sei so eigenbrötlerisch?
Meistens aber war es mehr. Ein motivierendes Anfeuern, eine scherzhafte Bemerkung, ein freundliches „Hallo“. Egal. Es schien, als wären wir hier aufgewachsen, bekannt wie bunte Hunde. Wo immer wir hin- und durchkamen nahm man sich die Zeit, um uns aufzumuntern oder einfach nur „Servus“ zu sagen.
Willkommen Zuhause!
Es mag bescheuert klingen, aber für mich stellte sich durch diese erfrischend ehrliche Herzlichkeit ein Gefühl des Zuhause- und Willkommen-Seins ein. Laufen unter und mit Freunden. Und das beflügelte mich und machte den Lauf-Ausflug aufs Land zu etwas ganz Besonderem. So viel Spaß hatte es schon lange nicht mehr gemacht. Und endlich verstand ich voll und ganz, was die Motorrad-Fahrer da tun. Der Gruß vereint. Und ist eine Verneigung. „Aha, du auch! Respekt! Na, dann noch viel Spaß!“
Nur eins ist will mir noch nicht so recht gelingen: Die herzliche Freundlichkeit vom Land hierher in den städtischen Raum zu transportieren. Das wird ein hartes Stück Arbeit. Aber ich versuche es einfach mal. Also: „Servus! Schön, dich zu treffen! Gut machst du das, ehrlich!“