Halbmarathon à la surprise

Die Läuferschar für den Halbmarathon beim München Marathon kurz vor dem Start
Die Läuferschar für den Halbmarathon beim München Marathon kurz vor dem Start

Nach der Halbmarathon-Premiere beim Stadtlauf im Juni wartete am 11. Oktober 2015 die nächste Prüfung auf mich und die anderen Hobby-Eisenlungen: Die Halbdistanz beim 30. München Marathon. Ein Lauf voller Überraschungen…

Meine Startnummer - samt Shirt für einen guten Zweck

Meine Startnummer – samt Shirt für einen guten Zweck

Der Stadtlauf München im Juni hatte uns hungrig gemacht. Mit dem Ziel angetreten, die Ziellinie nicht als Letzte zu überqueren, waren Reiner, Christian und ich neben überglücklich und hochzufrieden vor allem eins: heiß darauf, unter zwei Stunden zu kommen. Wir hatten die typischen Anfängerfehler gemacht beim Stadtlauf: Zu weit hinten angestellt und uns selbst unterschätzt. Zwei Minuten fehlten uns nur zur magischen Grenze. Was lag da näher, als den nächsten Halbmarathon anzupeilen.

Kalt und grau statt Strahlewetter

Am vergangenen Sonntag war es dann endlich soweit: Die Zielzeit von zwei Stunden sollte beim Halbmarathon des München Marathon unterboten werden. Angesichts der überraschenden Rahmenbedingungen ein im wahrsten Sinne des Wortes sportliches Ziel, denn erstens war es im Gegensatz zu den Jahren zuvor am Eventtag alles andere als spätherbstlich sonnig. Zweitens – und das war weitaus schlimmer – war unser Stadtlauf-Pacer und zugleich amtlich attestierte DDR-Fachlaufkraft Christian kurzfristig unpässlich. Zudem hatte Reiner das Training offenbar viel zu spät aufgenommen und unser dritter Recke Jörg kämpfte ausgerechnet bei seiner Halbmarathon-Premiere mit einer sich anbahnenden Erkältung. Alles in allem: Keine guten Voraussetzungen!

Angry Lauf-Boys kurz vor dem Start: Alex, Reiner und Jörg

Angry Lauf-Boys kurz vor dem Start: Alex, Reiner und Jörg

Die Eisenlunge sollte es retten

Reiners und meine ganzen Hoffnungen ruhten also auf dem armen angeschlagenen Jörg, der zwar noch nie einen Halbmarathon absolviert, sich aber bei unseren wenigen Trainingsläufen als erbarmungslos fitte Eisenlunge präsentiert hatte. Dass dies dann doch anders kam, als gedacht, sollte nicht die einzige Überraschung an diesem Tag bleiben!

Zumindest das Technik-Team war in Topform an diesem Tag: Reiners Frau Ute blieb bis kurz vor dem Start gut gelaunt und charmant wie eh und je an unserer Seite, um uns nicht nur Mut zu machen, sondern auch, um unsere Habseligkeiten gegen den loslaufenden Sportlerstrom per öffentlicher Verkehrsmittel ins Ziel zu transportieren.

Und loooooooooos!

Auch diesmal begannen wir bescheiden und positionierten uns im vorderen Drittel des zweiten Startblocks, dort also, wo sich die Läufer mit einer angepeilten Zeit über 1:45 Stunden zusammenrotteten. Angesichts der offenkundigen Fitnessprobleme in unserer Gruppe ein gnadenlos ehrlicher Zielzeitkorridor. Die Pacer mit den gut sichtbaren Zwei-Stunden-Fahnen ließen wir aber trotzdem nicht aus den Augen. Sie sollten es sein, an denen wir uns irgendwie und so lange es nur ging orientieren würden. Und wir hatten ja noch unsere Geheimwaffe: Konditionswunder Jörg!

Endlich die Startböller – 21,2 kalte Kilometer München lagen vor uns. Auf den ersten Kilometern ließen wir es langsam angehen. Unseren Freund Reiner, der noch nicht ganz warm mit der Strecke geworden war, wollten Jörg und ich auf keinen Fall abhängen, wir wollten als Gruppe ins Ziel kommen. Außerdem passte das Tempo eigentlich. Wir plauderten ein wenig und behielten dabei klammheimlich die 2-Stunden-Pacer im Auge. Alles easy!

Et läuft!

Zeit, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen! Das ist es also, warum Laufveranstaltungen rund um die Welt inzwischen so populär sind: Inmitten einer Menge Gleichgesinnter Sport zu treiben, Auge und Gehirn Auslauf zu gönnen und sich dabei noch von Wildfremden anfeuern zu lassen – das hat einfach was! Ich fühlte mich großartig, nicht zuletzt deswegen, weil ich mit der  coolen neuen Asics-Tight, den Run Ultralight Socks von CEP, dem Longsleeve von Adidas und natürlich meinen Saucony Triumph ISO einfach perfekt ausgestattet war.

Aber: Wie ging es eigentlich Jörg und Reiner? Jörg vertrieb sich die Zeit damit, das Publikum klatschend zu mehr Anfeuerung anzufeuern und dabei immer ein wenig schneller zu laufen. Und auch Reiner sah fit aus, es lief offenbar auch bei ihm. So gingen die Kilometer dahin, ab und zu wechselten wir ein paar Worte, die Stadt zog an uns vorbei. Und ohne groß Notiz davon zu nehmen, hatten wir die Zwei-Stunden-Pacer hinter uns gelassen.

Ein Held wird geboren

Etwa elf Kilometer hatten wir hinter uns gebracht, Jörg lief immer noch klatschend an der johlenden Menge vorbei, als ich zu meiner großen Überraschung registrierte: Nicht Duracel-Hase Jörg machte hier das Tempo, sondern Reiner. Er zog uns regelrecht hinter sich her, wie ein Magnet. „Ihr könnt ruhig schneller laufen, wenn ich euch zu langsam bin“ oder „Unter zwei Stunden schaff‘ ich diesmal leider nicht!“ – alles vergessen! Reiner war der Anführer, unser Held! Und es lief richtig gut!

Wir drehten die etwas merkwürdige Runde um die Technische Universität und den Königsplatz, liefen die Leopoldstraße hinunter und passierten den Elisabethplatz. Reiner lief wie aufgezogen, das Tempo für unsere bescheidenden Verhältnisse recht hoch haltend. Nur Jörg wurde langsam stiller. Zwar klatschte er immer noch ab und zu Richtung Publikum, aber man spürte deutlich: Die Grenzen des Machbaren näherten sich für unseren erkälteten Freund.

Erschöpft, aber superhappy: Jörg, Alex und Reiner im Ziel

Erschöpft, aber superhappy: Jörg, Alex und Reiner im Ziel

Ab in Stadion

Auf der Ackermannstraße, kurz bevor wir Richtung Olympiastadion in den Oly-Park einbogen, sah man dem armen Jörg die Strapazen schon arg an. Die Eisenlunge war ausgepumpt! Aber egal – das Ziel lag so nah vor uns, Aufgeben war nicht. Das sah offenbar auch Jörg so – und rannte kurze Zeit später zusammen mit uns durch das große Marathontor des alt-ehrwürdigen Olympiastadions zu München. Wir waren fast am Ziel! Unter dem Jubel Hunderter flogen wir die letzten 300 Meter. Tränen schossen mir mal wieder in die Augen. Was für ein verdammt geiles Erlebnis! Und da: Meine Frau und die Kids waren auch gekommen und jubelten uns von der Tribüne aus zu.

Ups! Vor lauter Winken hatte ich auf der Zielgeraden den Anschluss an die beiden Jungs in letzter Sekunde ein wenig verloren. Sie näherten sich unausweichlich dem großen Finale. Jetzt aber schnell einen letzten Sprint eingelegt! Eine Stunde, 52 Minuten und 54 Sekunden – es war vollbracht! Wie die Schulbuben lagen wir uns in den Armen. Wir hatten es gepackt. Als Team. Zusammen. Und ein neuer Pacer war geboren!

Worte können das Gefühl nicht beschreiben, was zumindest in mir vorgeht, wenn ein Ziel wie dieses erreicht wird. Hier geht’s nicht um falschen Ehrgeiz, um Siegeswillen, Wettkampf. Hier geht’s darum, etwas ganz Besonderes zu erleben, idealerweise zusammen mit Freunden und tausend anderen netten Menschen, und sich dabei grandios zu fühlen, egal wie erschöpft man am Ende ist. Das ist das Leben – lasst es uns genießen, solange wir es haben, Freunde! Mist, da ist er ja schon wieder, der Pathos von hinter der Ziellinie…

Die nächsten Ziele sind schon abgesteckt: Endlich neue Laufschuhe für Reiner, der sich mit seinen uralten Galoschen ordentliche Blasen gelaufen hat, die behutsame Wiederaufnahme von Christian in die unsere Läufermitte, und ein neues Ziel für den nächsten Laufevent. Wir sehen uns dort!

Fotos: Ute, Alex Rudolph

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